Ein Blog von Felix Nickel


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Samstag, 18. April 2009

Verehrt wie Gottheiten
Der Personenkult um indische Politiker

Die Stadt ist im Ausnahmezustand. Wenn ich aus dem Haus gehe brüllt mir aus zwei großen Boxenpaaren mit der gefühlten Lautstärke eines Düsenjets tamilische Musik entgegen. Zwei Jungen von etwa 10 Jahren bedienen die „Höllenmaschine“, die die ganze Straße von sieben Uhr morgens bis Mitternacht ununterbrochen mit Klassikern der tamilischen Musik beschallt. Einige Meter weiter entfernt haben Tagelöhner einen provisorischen Triumphbogen aus Bam-bus gezimmert, der sich über die ganze Straße spannt. Von dem Plakat an dem Bogen lächelt ein vollschlanker Mitt-Fünfziger mit dem obligatorischen Schnauzbart, den hier jeder Mann trägt, herab. Schwarz-Rote Girlanden und Fahnen säumen die gesamte Straße, auf einer Länge von mehr als zwei Kilometern. Es sind die Farben der Dravida Munnetra Kazhagam (DMK), der Regierungspartei Tamilnadus, und der Mann auf dem Plakat ist M. K. Azhagiri, der Sohn des Regierungschefs Karunanidhi. Seinem Antlitz zu entfliehen ist dieser Tage unmöglich, denn es ist überall in der Stadt zu sehen. Zusätzlich zu den bestehenden festen Plakatwänden, wurden unzählige überdimensionale Bambusgerüste errichtet und so blickt M. K. Azhagiri von allen Plakatwänden in den unterschiedlichsten Posen auf die Bürger.

Mit dem Geld, das für die Öffentlichkeitskampagnen ausgegeben wird, könnte man auch etwas gegen die Armut unternehmen.

Nachts kann man von der Dachterrasse unseres Hauses zwei riesige Leuchtfiguren, die ebenfalls den Sohn des Regierungschefs darstellen, sehen. „Big brother is watching you“ – der Personenkult erinnert mich ein wenig an George Orwells Roman 1984. Als ich Cynthia, meine indische Mentorin, frage ob die Dekoration der Stadt denn Teil des Wahlkampfs anlässlich der anstehenden na-tionalen Wahlen sei, lacht diese nur und winkt ab. „Nein, nein. M. K. Azhagiri hat morgen Geburtstag, deshalb müssen die Leute in Madurai diesen Wahnsinn über sich ergehen lassen.“ Zudem habe der ehemalige Schauspieler auch einen Posten in der Führungsebene der DMK erhalten, klärt sie mich auf. „Die Slogans auf den Plakaten vergleichen ihn teilweise sogar mit Göttern. Das macht mich wütend“, fügt Cynthia mit einem ernsten Blick hinzu. Doch das ist hier im hinduistisch geprägten Indien keine Seltenheit. So sei schon der ein oder andere Poli-tiker mit der Behauptung auf Stimmenfang gegangen eine Inkarnation einer Hindu-Gottheit zu sein, erzählt mir eine Deutsche, die schon seit über 11 Jahren in Südindien wohnt.
Wie es wohl in Deutschland wäre, wenn zu Roland Kochs Geburtstag oder dem unserer Bun-deskanzlerin deren Gesichter vom Oktogon des Herkules, der Fassade des City Points oder des Fridericianums blicken würden? Nein, nein, das kann und will ich mir nicht vorstellen. Gut, dass deutsche Politiker und deren Parteien eher ein zurückhaltendes Plakatierverhalten an den Tag legen, wobei sich die Druckereien bestimmt über zusätzliche Aufträge freuen würden. Vielleicht ein Idee für ein Konjunkturpaket Nummer drei.


(erschienen am 02.04.2009 in der Baunatal/Schauenburg Ausgabe der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen)