Ein Blog von Felix Nickel


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Dienstag, 2. Dezember 2008

Weihnachtliche Besinnlichkeit in Zeiten des Terrors


Vor einer Freilichtbühne sitzen etwa 50 junge Erwachsene im Schneidersitz und stimmen ein Lied an. Exotische Trommelrhythmen und Sitarklänge begleiten die Sänger. Ein junger Mann singt aus vollem Herzen und auch wenn ich die Sprache nicht verstehe, so wird mir doch durch den Ausdruck auf vielen der Gesichter deutlich, dass diese Menschen nicht nur einfach singen, sondern ihrer Überzeugung Ausdruck verleihen. Auf der Bühne erscheinen jetzt Frauen und Männer in prachtvoller Kleidung und beginnen zu tanzen. Farbenfroh und ausgelassen ist das Geschehen auf der Bühne des Campus des Tamil Theological Seminary (TTS), einem christlichen Priesterseminar in der südindischen Stadt Madurai. Die Darbietungen auf der Bühne, zwischen haushohen Palmen, sind nicht etwa Teil einer Folkloreveranstaltung, sondern eines Weihnachtsgottesdienstes, der hier schon anlässlich des ersten Advents stattfindet.
Pluralität ist das Leitmotto des Gottesdienstes und dieses Kirchenjahres am TTS. Auch ich nehme am Gottesdienst teil und singe mit dem englischsprachigen Chor. „Drum with joy the gift of colours/ shout with joy the gift of love./ Bringing hope to all creation/ celebrate plurality.” Als wir diese Zeilen singen, wird mir plötzlich klar, wie wichtig und nötig es ist, das friedliche Nebeneinander von drei Weltreligionen (Hinduismus, Christentum und Islam) im Vielvölkerstaat Indien zu fördern. „Drum with joy the gift of colours“, das ist angesichts der immer stärkeren Radikalisierung, vor allem von Muslimen und Hindus, ein dringlicher Appel gegen weitere Gewalt. Allein während der letzten drei Monate, in denen ich hier in Indien bin, haben religiöse Fundamentalisten viel Gewalt und Blutvergießen verursacht. Im August und September sind bei Unruhen im Bundesstaat Orissa Christen von Hindu-Extremisten geradezu gejagt worden, etliche kamen bei dieser Hatz zu Tode. Am 15. September explodierten in Delhi mehrere Sprengsätze einer islamistischen Terrorgruppe. Am 26. November waren nun die furchtbaren Terroranschläge in Bombay.

Eintracht? Davon sind die Religionen in Indien leider noch weit entfernt Foto: Felix Nickel

„Drum with joy the gift of colours“ – Diese Aussage kann auch an die vielen opportunistischen Politiker gerichtet sein, die die in Indien bestehenden Religionskonflikte schamlos ausnutzen oder sogar gezielt schüren, um an die Macht zu kommen.
Weihnachten soll ein Fest der Liebe sein, das wird an diesem Abend deutlich. Gottes Sohn wurde geboren und gab den Menschen Hoffnung. Auch die Teilnehmer dieses Abends schöpfen aus dem Glauben Hoffnung. Während des Gottesdienstes sind diese Hoffnungen neben persönlichen Anliegen wohl auch auf ein Ende der gewalttätigen Religionskonflikte bezogen. Selbst das christliche Fest der Liebe, bei uns eine Zeit der Besinnlichkeit, ist hier von dem Hass verblendeter Hindu-Nationalisten nicht sicher. Regelmäßig an Weihnachten werden Kirchen in Brand gesteckt.
„Preist mit Freude das Geschenk der Farben“ - Religiöse Pluralität als Geschenk anzusehen und nicht als störendes Element, dieses Denken ist gerade in Zeiten des Terrors nötig.

Montag, 10. November 2008

Don't worry, be happy!
Entspannung pur in Varkala

Nachdem wir in den letzten Wochen seit unserer Rückkehr aus Delhi viel zu tun hatten, war dieses Wochenende die Zeit reif für einen Ausflug, um dem Lärm und Staub Madurais zu entfliehen.

Am Freitag setzten wir uns um 23.15 Uhr in einen Zug um nach Varkala zu gelangen. Dieser kleine Küstenort liegt in dem von Tamilnadu westlich gelegenen Bundesstaat Kerala und ist etwa 200 Kilometer Luftlinie von Madurai entfernt. Im Zug trafen wir noch zwei Franzosen, die auch in den Ort wollten, der laut Reiseführer „entschieden entspannt“ sein sollte. In freudiger Erwartung bald im schönen Kerala zu sein, schlief ich ein während unser Zug der Küste des Arabischen Ozeans entgegen rumpelte.

Palmen, Lagunen, blauer Himmel – ich blicke aus dem Zugfenster und habe Gefühl direkt ins Paradies zu schauen, als ich am nächsten Morgen aufwache. Ein Meer aus Grün breitet sich jenseits des Bahndamms aus. Simon schaut mich an und meint „Einfach nur krass!“, wobei ich ihm nur beipflichten kann. So eine tropische Landschaft kenne ich bisher nur von Bildern aus Reisemagazinen oder aus der GEO, doch die Wirkung der Bilder kann mit der Realität einfach nicht mithalten. Als wir um 8 Uhr nach gut 9 Stunden Zugfahrt in Varkala aussteigen, sind wir uns schon sicher, dass sich die nächtliche Zugfahrt auf jeden Fall gelohnt hat. Wir laden unser Gepäck in ein Taxi, dessen Fahrer uns zu unserem Hotel bringt, wo uns eine ungewöhnliche Ruhe empfängt - kein Hupen, keine starkbefahrenen Straßen. Zwischen etlichen Palmen und saftig grünen Sträuchern stehen in einigem Abstand Häuser, die vor allem im Dezember, der Hauptreisezeit, etliche Touristen beherbergen werden. Jetzt ist hier noch nicht übermäßig viel los.
Da das eigentliche Hotelgebäude unserer Herberge renoviert wird, bringt uns ein netter Keralese zu einem anderen Haus, dessen glänzender Marmorboden und großzügiger Eingangsbereich uns zum Staunen bringen, doch mit 400 Rupien pro Doppelzimmer ist dieses luxuriös anmutende Hotel selbst für uns erschwinglich. Von unserer Terrasse blickten wir in ein Meer von sattem Grün. „Einfach der Hammer!“ entfährt es mir bei diesem Anblick. Die Einheimischen Keralas nennen ihr Land auch gerne „god’s own country“, eine Ausdruck der mir zunächst großspurig vorkam, doch bei diesem Anblick kann ich diese Bezeichnung nachvollziehen.

Auch Inder sind von der Schönheit beeindruckt                           Foto (c) Felix Nickel

Schon bald nach unserer Ankunft machen wir uns auf den Weg zum Strand, der nur vier Minuten von unserer Herberge entfernt ist. Vorbei an weiteren kleinen Hotels laufen wir durch das über und über mit Palmen bewachsene Hinterland. Auf den grünen Freiflächen sehe ich hier und da einige Ziegen, die in der schwülen Hitze, die hier bereits um 10 Uhr herrscht, dahin dösen. Über einen schmalen Pfad gelangen wir schließlich zur Klippenpromenade mit ihren zahlreichen Läden und Restaurants. Die Klippen bestehen aus über 2,6 Millionen Jahren alten Sedimenten und bilden eine geologische Ausnahme an der sonst flachen Küste Keralas. Der von hier oben Blick übertrifft noch einmal alles was wir bisher gesehen haben. Vom Rand der grün bewachsenen und mit Palmen gesäumten Klippen blicke ich in eine Bucht, in der sich die Wellen des türkisblauen Arabischen Meeres am hellen Sandstrand brechen. Greifvögel kreisen über der Bucht, immer in Ausschau auf einen Fisch, den sie ergattern können.

Paradiesisch: Blick von den Klippen Varkala                                     Foto (c) Felix Nickel

Nach dem Frühstück in einem kleinen Restaurant mit Blick auf das Meer klettern wir eine behelfsmäßige Treppe zum Strand, dem Papanasam Beach, hinunter. Kaum sind wir unten angekommen, ist auch schon ein Keralese dabei einen Sonnenschirm in den weißen Sand zu rammen. Die Sonne scheint auf uns herab, Schatten ist weit und breit nicht in Sicht, sodass wir die 150 Rupien bezahlen. Der Strand ist nicht übermäßig gefüllt, doch rings um uns herum liegen ausschließlich Weiße. Rucksacktouristen mit langen Haaren und Bärten, junge Frauen im Bikini, Familien mit Kindern, Rentner. Alle genießen die ruhige Atmosphäre des Ortes und doch verwirrt mich der Anblick der vielen Weißen, die in Madurai eine Seltenheit sind. Während Frauen im Bikini die tropische Sonne genießen, geht eine indische Obstverkäuferin in ein Sari gehüllt zwischen den entblößten Körpern hindurch. Dieser Gegensatz macht mich ein wenig nachdenklich, denn es entspricht einfach nicht den Sitten des Landes, dass Frauen viel von ihrem Körper zeigen. Varkala ist wirklich eine Enklave und wirft einmal mehr die in mir Frage auf, in wieweit der Tourismus den Sitten des Landes mit Intoleranz begegnet. „Hier wird gar nicht erwartet, dass man sich anpasst“, meint Simon und irgendwie ist scheint diese Tatsache auch eine Grundlage für den touristischen Erfolg des Ortes zu sein.
Nun ist die Zeit gekommen, dass wir uns selber in die türkisene Flut werfen. Das Wasser hat Badewannentemperatur und ist einfach herrlich. Bald schon merke ich den Sog, der in der Bucht herrscht und mich abtreiben lässt. Schon im Reiseführer stand dass Varkalas Strände wegen ihrer Strömungen zu den gefährlichsten in Kerala zählen. Wir schwimmen nicht weit hinaus und genießen es uns die Brandung zu werfen. Die Tiefe des Meeres variiert innerhalb weniger Meter so stark, dass ich Mal bis zu den Knien im Wasser stehe und im nächsten Moment keinen Boden mehr unter den Füßen habe. Am Strand sitzen drei Rettungsschwimmer, die die Badenden im Auge behalten.

Foto (c) Felix Nickel

Als ich wieder auf meinem Handtuch liege, sehe ich draußen auf dem Meer zwei Fischerboote, die ein Netz ausgeworfen haben und es jetzt langsam einholen. Am Abend wird ein Teil des Fangs in den Küchen der zahlreichen Restaurants landen. Den gesamten Nachmittag verbringen wir mit Baden und Entspannen am Strand, der mit seiner Ruhe und Gelassenheit wirklich eine Erholung von dem Lärm Madurais ist. Als wir spät am Nachmittag wieder zurück zu unserer Herberge gehen habe ich das Gefühl schon mindestens eine Woche hier gewesen zu sein.
Zum Abendessen gehen wir in das „Rock ‘n‘ Roll Café“, an den Klippen, das wie viele andere Restaurants einen Tresen hat, wo sich die Gäste den Fisch, den sie Essen wollen, direkt auswählen können. Schwertfisch, Barrakuda, Tintenfische oder Garnelen liegen dort unter anderem zum Verzehr bereit. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und ich bestelle mir gegrillte Garnelen. Ein plötzlicher Stromausfall sorgt dafür, dass der gesamte Abschnitt nur noch in Kerzenlicht getaucht ist. An einem anderen Tisch beginnt eine Frau ein portugiesisches Lied zu singen, begleitet von einem Trommelrhythmus ihres Freundes.
Als Simon und ich nach dem Essen noch einen Cocktail trinken wollen, bemerken wir, dass wir nicht genug Bargeld bei uns haben. Der nächste Geldautomat ist fünf Kilometer vom Strand entfernt und so sind wir froh, dass uns ein Keralese aus einem Reisebüro hilft und uns per „Scheingeschäft“ ein paar Rupien von der Kreditkarte abbucht und auszahlt.
Wir verbringen einen heiteren Abend, an dem wir uns mit einem der Kellner anfreunden, der uns erzählt, dass er nachdem er hier ein Jahr in Varkala gearbeitet hat in seinen Heimatbundesstaat Andra Pradesh zurückkehren kann und ohne weiteres ein Restaurant aufmachen kann. Die Leute in der Bar sind alle älter als wir und Simon und ich müssen schmunzeln, als wir sehen, wie vierzigjährige Frauen auf Gangsta-Hiphop die Hüften schwingen. Auch die Angestellten haben ihren Spaß, denn auch sie tanzen mit. Als dann Bob Marley aus den Boxen schallt kann ich auch nicht mehr still halten und tanze mit.


Nach einer Nacht im Zug und einem Tag am Strand machen Simon und ich uns gegen Mitternacht glücklich über das Erlebte auf den Rückweg zum Hotel. Die Klippenpromenade ist fast ausgestorben und man hört nun noch deutlicher als am Tage die Brandung des Meeres. Wir stellen fest, dass die Inder hier auf jeden Fall viel offener und auch lockerer sind als bei uns in Madurai, eine angenehme Erfahrung nach drei Monaten in Tamilnadu.

Foto (c) Felix Nickel

Varkala – das ist für uns ein Ort der puren Gelassenheit an dem man einfach entspannen kann. Bereits am Tag unserer Abreise stet für uns eines fest: Wir kommen wieder!

Montag, 27. Oktober 2008

Mit dem Bus nach Kodaikanal
Ein Ausflug in die grünen Berge

Bereits am 20. September fand unser Ausflug in die Berge statt. Mit einiger Verzögerung hier nun einige Eindrücke.


Es ist 6 Uhr und am Araparaylam-Busbahnhof im Süden Madurais herrscht schon ein reger Betrieb. Menschen schlängeln sich zwischen abfahrtbereiten Bussen hindurch, von denen einige in Deutschland sicher keine TÜV-Plakette mehr bekommen würden. Alle kleinen Läden rund um die Haltestelle sind schon hell erleuchtet - Wasserflaschen, Früchte, Säfte, Zeitungen, tamilische Süßigkeiten und Gebäckstücke und eine Fülle anderer Angebote stapeln sich in den Auslagen. Ein älterer Tamile, in ein Lunghi gekleidet, so nennt man das traditionelle bodenlange Lendentuch, trinkt gerade einen dampfenden Tee, der hier in Indien mit Milch und viel Zucker aufgebrüht wird. Schrille tamilische Popmusik schallt aus Lautsprechern, die garantiert auch noch die Müden unter dem Pulk von Menschen wachrüttelt, darunter auch wir.
Wir finden schließlich endlich den Bus, der uns in die Berge nach Kodaikanal bringen soll. Als ich in einer der Sitzreihen Platz nehmen will fällt mir einmal mehr auf, dass meine Körperdimensionen nicht mit den indischen übereinstimmen. Ich zwänge meine Beine in den viel zu engen Fußraum und bemerke, dass dieser Bus ja sogar über eine „Multimediaausstattung“ verfügt. Gerade ist der Busschaffner – ein Beruf, der bei uns schon lange ausgestorben ist – dabei eine DVD einzulegen. Kaum hat er den Abspielknopf betätigt, schon setzt ein ohrenbetäubendes Dröhnen ein. Aus den vier Boxen, die sich im Bus befinden plärrt ein tamilische Musik, wozu die Anfangsszenen des Filmes über den Bildschirm flackern. Der krächzende Klang bereitet mir Ohrenschmerzen und so bin ich erleichtert, als ich in meinem Rucksack die Oropax finde. Doch die Ohrstöpsel können die Lautstärke nur in geringem Maße verringern.
Der Bus setzt sich in Bewegung und schnell springen auch noch die letzten Fahrgäste über offenem Ein- und Ausstieg hinein. 40 Rupien kostet die dreieinhalbstündige Fahrt in die 120 km entfernte hill station, die 1845 von britischen Missionaren gegründet wurde, um der drückenden Hitze der Ebene zu entfliehen.
Unsere Fahrt führt zunächst durch die engen und überfüllten Straßen Madurais hinaus auf eine breite Landstraße. Der Busfahrer ist sich offenbar sicher, dass ihm alle anderen Verkehrsteilnehmer Vorfahrt gewähren und so heizt er über die Straße. Trotz der lauten Beschallung durch den Film ist das ständig ertönende tiefe Horn unseres schon etwas altersschwachen Busses nicht zu überhören. Da der Fahrer ständig überholt und wir eigentlich mehr auf der Gegenfahrbahn fahren als auf unserer Seite, hupt er ohne Unterlass um die Fahrzeuge vor ihm zu warnen. In den meisten Situationen schert er bei Gegenverkehr erst in letzter Minute ein, was der Fahrt einen zusätzlichen Nervenkitzel beschert. Für den Fahrer, der seelenruhig vor seinem riesigen Lenkrad sitzt, scheint diese Fahrweise jedoch normal.
Wir durchqueren Dörfer in denen ärmliche Lehmhäuser stehen, deren Dächer mit Palmwedeln gedeckt sind. Auf vielen gemauerten Häusern prangt riesig das Logo eines großen indischen Mobilfunkanbieters oder einer Betonfirma. Eine Gruppe von Frauen und jungen Männern trennt auf althergebrachte Weise die die Spreu vom Korn, indem das gedroschene Getreide mit Körben in die Luft geworfen wird.


Während auf dem Bildschirm ständig mit lautstarken Schreien geprügelt wird und lange Verfolgungsjagden stattfinden rattert unser schon etwas rostiges Gefährt durch eine über und über grüne Landschaft mit riesigen Bananenplantagen, Palmenhainen und einigen Tümpeln. In der Ferne zeichnen sich schon die dicht bewaldeten Berge ab, die sich abrupt über die Ebene erheben. Bald darauf beginnt auch die Straße immer stärker anzusteigen und schon kriechen wir mit röhrendem Motor die vielen Serpentinen hinauf. Wenn wir durch die Kurven fahren, kann ich in den Abgrund blicken, der sich links neben der Straße befindet. Einmal neigt sich unser Bus gefährlich nahe dem Abhang entgegen und ich atme auf als unser Gefährt wieder aufrichtet. Mit einem aggressiven Hupen nähern sich ständig kleinere Busse oder Autos von hinten, deren Fahrer trotz Kurven und schmaler Fahrbahn nicht vor waghalsigen Überholmanövern zurückschrecken.
Auf dem Fels tauchen immer häufiger tamilische Schriftzeichen auf und auch vermehrt englischen Slogans. „Save Tibet!“ oder „Free Tibet!“ steht dort in weißer Farbe auf dem Fels. Vielleicht fühlen sich die Bewohner des Gebirges hier besonders mit dem Bergvolk der Tibeter verbunden.Wir sind umgeben von tiefstem Wald aus dem manchmal ein paar Affen auftauchen. Agaven von der Größe eines Kleinwagens säumen die Straße deren riesige Dornen bedrohlich spitz aussehen.
Gegen 10 Uhr erreichen wir dann die Endstation und steigen am Busbahnhof von Kodaikanal aus. Etwas desorientiert blicken wir uns um,denn wir wissen nicht wie wir zu dem Büro eines Anwalts finden sollen, der uns in seinem Ferienhaus in Kodaikanal unterbringen will. Die zahlreichen Taxifahrer erkennen diese Unsicherheit und versuchen daraus Profit zu schlagen, indem sie ihre Dienste anpreisen.

Ein Kiosk am Busbahnhof von Kodaikanal Foto: (c) Felix Nickel

Wir machen uns schließlich zu Fuß auf den Weg und kommen schon bald am „Büro“, einem kleinen Steinhaus mit zwei Räumen, an. Der Anwalt ist leider nicht da und so stellen wir dort nur unser Gepäck unter um darauf die kleine Stadt, die sich an die Hänge der grünen Hochtäler klammert zu erkunden. Hier ist alles viel ruhiger und übersichtiger als in Madurai. Die angenehme Kühle, die uns umströmt ist eine wahre Erholung im Vergleich zu stickig warmen Luft in Madurai. Den Indern scheint schon recht kalt zu sein, denn viele tragen Wollpullover und Strickmützen und das bei 15 Grad! Als ich an die Wintertemperaturen in Deutschland denke muss ich bei diesem Anblick schmunzeln.
Vom Coacher’s Walk soll einen wundervollen Blick in die bewaldeten Täler um Kodaikanal haben und so machen wir uns auf den Weg dorthin. Für den Blick müssen wir zunächst einmal am Beginn des Weges 20 Rupien bezahlen um dann festzustellen, dass die Täler in dichtem Nebel liegen, der auch uns langsam einhüllt. Durch den Nebel dringen Blütendüfte und hier und dort kann man auch einmal einen Blick auf riesige Sträucher mit farbenfrohen Blüten erhaschen. Am Rande des Weges erblicke ich dann plötzlich einen roten Weihnachtsstern, der mit unseren deutschen Topfgewächsen aber nicht zu vergleichen ist – es handelt sich um einen Strauch von etwa 2 Metern Höhe. Die klare und gehaltvolle Gebirgsluft scheint nicht nur den Menschen gut zu tun.

Schon als wir ankamen, haben sich in der Ferne dunkle Wolken abgezeichnet und schon bald fängt es auch an zu regnen. „Jetzt ist eigentlich keine Touristenzeit hier“, meint unser äußerst netter Fahrer „Mr. Patrick“, der uns nach unserer Rückkehr zum Büro des Anwalts zu unserer Herberge, dem Ferienhaus des Anwalts bringt, das ein wenig vom Zentrum des Bergortes entfernt ist. Als wir dicht gedrängt in dem kleinen Bus die Straße emporfahren, scheint der Himmel seine Pforten geöffnet zu haben, denn es schüttet wie aus Eimern. Das Wasser schießt in Bächen die Straße hinunter, während Patrick unser Gefährt in Schlangenlinien um die zahlreichen Schlaglöcher manövriert. Langsam lässt der Regen nach und als wir auf das Gelände des Landhauses einbiegen, sehe ich eine Kuh die auf der Wiese neben dem Haus grast. Als wir aussteigen, beäugen uns zwei streunende Hunde mit argwöhnischem Blick.


Wir richten uns im Inneren des spartanisch ausgestatteten Ferienhauses ein und beginnen unser Abendbrot zu kochen. Die Wolkendecke ist wieder aufgerissen und lässt das goldene Licht des Sonnenuntergangs über die Hügel streichen. Ich gehe nach draußen und Atme tief ein – so eine klare und erfrischende Luft habe ich schon lange nicht mehr genossen. Alles scheint so friedlich rings herum – der Ruf des Muezzin schallt herüber und danach ist außer einem entfernten Hupen eines Autos nichts mehr zu hören. Stille. Nach den ersten lärmigen Wochen in Madurai ist es dieser niedrige Geräuschpegel eine wahre Erlösung. Ein wenig vom Haus entfernt stehen einige riesige Bäume, die die Rodung zur Landgewinnung unbeschadet überstanden zu haben scheinen. Durch einige Sträucher hindurch eröffnet sich ein Blick auf den See von Kodaikanal, dessen Wasserqualität streng überwacht wird und der komplett eingezäunt ist um „Übeltäter“ von der in Indien üblichen Entsorgung von Müll in Gewässern abhalten soll.

Einer der Hunde von vorhin kommt auf mich zugetrottet und legt sich dicht neben mich. Ich lasse mir ein Stück der herrlichen, handgemachten Schokolade (eine Spezialität von Kodaikanal), die ich vorhin gekauft habe auf der Zunge zergehen und genieße den Sonnenuntergang.

Dienstag, 9. September 2008

Felix in Indien – Wie?

Einige fragen sich bestimmt, wie ich überhaupt nach Indien gekommen bin. Hier ein Überblick über das „Organisatorische“. Vielleicht plant ja im Moment auch jemand ein Auslandsjahr oder kennt jemanden, der dies tut, dann sind ein paar Infos vielleicht willkommen.

Mein Aufenthalt hier in Indien wurde von Brot für die Welt und den Evangelischen Freiwilligendiensten für junge Menschen (Ev. FWD) organisiert und findet im Rahmen des Neuen Entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „weltwärts“ des BMZ statt. Beide Organisationen sowie „weltwärts“ möchte ich nun vorstellen.


Brot für die Welt (BfdW) – „Den Armen Gerechtigkeit“

BfdW kennt wohl jeder. Es handelt sich hierbei um ein Hilfsprogramm des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW der EKD), wobei der Titel „Programm“ wichtig ist, denn eine eigenständige Hilfsorganisation ist BfdW nicht. Im Gegensatz zu anderen Hilfsorganisationen, die teilweise Fördermittel aus staatlicher Hand, wie etwa vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), bekommen, finanziert sich des Programm BfdW rein über Spenden. Der Spendenumfang für das Programm lag im Jahr 2007 bei 52,8 Millionen Euro, wobei etwa die Hälfte aller Spenden während der Adventszeit gesammelt werden.

BfdW wurde 1959 in Berlin ins Leben gerufen und hat heute seinen Sitz in Stuttgart im Hause des Diakonischen Werkes der EKD. Von dort aus werden heute über 1000 Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropas unterstützt, hierbei wird nicht auf die Entsendung eigener Entwicklungshelfer gesetzt, sondern auf Hilfe zur Selbsthilfe. Brot für die Welt arbeitet stets mit Partnern aus dem jeweiligen Entwicklungs-/Schwellenland zusammen und unterstützt deren Projekte finanziell, vorausgesetzt der die Fördermittel wurden nach mehrmaliger sorgfältiger Prüfung bewilligt. Die Partner von BfdW sind protestantische kirchliche Organisationen, da es sich bei dem Hilfsprogramm ja auch um ein kirchliches Programm handelt, aber auch andere säkulare Organisationen, Selbst-Initiativen, Menschenrechtsgruppen und andere nichtstaatliche Organisationen. Der Grund für die Arbeit mit Partnern liegt darin, dass man annimmt, dass diese das Land mit dessen Kultur und sozialen Nöten sowie mögliche erfolgreiche Ansatzpunkte für Entwicklungshilfe besser kennen als Entwicklungshelfer aus dem Ausland. Grundlegende Leitlinie für die Arbeit von BfdW ist der Solgan „Den Armen Gerechtigkeit“. Im kommenden Jahr feiert das Hilfsprogramm sein 50-jähriges Bestehen.


weitere Infos über Brot für die Welt und Möglichkeiten zur Unterstützung unter:

www.brot-fuer-die-welt.de



Evangelische Freiwilligendienste für junge Menschen FSJ und DJiA gGmbH (Ev. FWD)

Der Name der Organisation mit Sitz in Hannover schreckt auf den ersten Blick ab, ermöglicht es aber entscheidende Elemente dieser Entsendeorganisation für Freiwillige bereits aus deren Titel abzulesen. Es handelt sich um eine evangelische Organisation, die das Ergebnis einer Kooperation zwischen dem Diakonischen Werk der EKD und der Arbeitsgemeinschaft der Ev. Jugend in Deutschland (aej) im Bezug auf zwei Arten von Freiwilligendiensten ist – dem weitläufig bekannten Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Diakonischem Jahr im Ausland (DJiA).

Die Idee eines Diakonischen Jahres wurde schon 1954 geboren. Die Ev. FWD haben die Organisation des DJiA und FSJ im Ausland 2002 vom Diakonischen Werk der Pfalz übernommen. Zum DJiA heißt es auf der Website der Ev. Freiwilligendienste:

„Das Diakonische Jahr ist insofern nicht nur ein soziales Orientierungsjahr für Jugendliche. Es bietet auch die Möglichkeit, die sozialen Einrichtungen, die verschiedenen christlichen Traditionen, die unterschiedlichen sozialpolitischen Situationen und Organisation des sozialen Engagements in den Kirchen Europas kennen- und verstehen zu lernen. Das DJiA versteht sich als ökumenisches Programm und ist offen für die verschiedenen christlichen Konfessionen und schließt nichtkonfessionelle Bewerberinnen und Bewerber nicht aus, sofern sie Glaubensfragen und Kirche gegenüber aufgeschlossen sind.“

Die Anzahl der Teilnehmenden am DJiA, das sich an Menschen zwischen 18 und 30 wendet, ist stetig gestiegen. Machten 1989 nur 22 Freiwillige in Belgien und Frankreich, so sind es dieses Jahr über 140 Freiwillige in 19 Ländern. Unter diesen Freiwilligen sind auch wir, die ersten 15 Weltwärts-Freiwilligen von Brot für die Welt und den Ev. Freiwilligendiensten, mit 4 Zielen – Argentinien, Costa Rica, Indien und Kamerun.


weitere Infos zu den Ev. FWD und zu deren Angeboten gibt es unter:
www.djia.de



weltwärts – Der Neue Entwicklungspolitische Freiwilligendienst des BMZ

Ins Leben gerufen wurde weltwärts im Jahr 2007 durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und hat es sich zum Ziel gemacht junge Menschen ehrenamtliche Arbeit in Entwicklungsländern zu ermöglichen.

Mit dem Leitbild „Lernen durch tatkräftiges Handeln“ will dieser Freiwilligendienst junge Menschen für entwicklungspolitische Themen und Zusammenhänge sensibilisieren, sowie das Engagement für die Eine-Welt-Idee stärken. Der Aufenthalt in einem Entwicklungsland soll weiterhin dazu beitragen interkulturelle Verständigung und Toleranz zu fördern und die Freiwilligen zu Multiplikatoren für entwicklungspolitische Themen zu machen, um auch „Daheimgebliebene“ für Entwicklungspolitik und -problematiken zu sensibilisieren. Im Vordergrund des Dienstes steht also das Lernen durch freiwillige Arbeit. Weiterhin soll mit weltwärts der Nachwuchs im entwicklungspolitischen Berufsfeld gefördert werden.

Das Programm richtet sich an junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren und ermöglicht es ihnen für einen Zeitraum von 6 bis 24 Monaten in einem Entwicklungs- bzw. Schwellenland zu leben und zu arbeiten. Der Einsatz wird vom BMZ und der Partnerorganisation mit einem Stipendium finanziert, wobei dem Freiwilligen Taschengeld, sowie kostenlose Reise, Unterkunft und Verpflegung zustehen. Trotzdem fallen natürlich Kosten an, wie etwa für Impfungen, Reisedokumente etc.

Das BMZ entsendet jedoch nicht direkt Freiwillige sondern zertifiziert Entsendeorganisationen, die dann ihrerseits den Einsatz von Freiwilligen mit ihren Partnern im Ausland organisieren.

Da Brot für die Welt ein Entwicklungsprogramm ist, bestand von dieser Seite ein Interesse daran Freiwillige zu entsenden, da man ja über die nötige Erfahrung und Ressourcen in der Entwicklungszusammenarbeit verfügt und langjährige Kontakte zu Partnerorganisationen in Entwicklungsländern hat. BfdW hat jedoch keine Erfahrung mit der Entsendung von Freiwilligen. Dies ist der Grund warum BfdW und die Ev. FWD kooperieren und ich quasi Freiwilliger beider Organisationen bin.


weitere Infos zum weltwärts-Programm und den teilnehmenden Entsendeorganisationen unter:
www.weltwärts.de



Nun aber genug mit all den Programmen und Organisationen. Der nächste Bericht wird wieder „indischer“, sprich bunter und spannender ;-)

Vielen Dank fürs Lesen!

Euer/Ihr Felix

Freitag, 5. September 2008

மதுரை(Madurai) - Erste Eindrücke

Mit einem lauten Knattern setzt sich unsere gelbe kleine Rikscha in Bewegung. Simon und ich sind auf dem Weg in die Innenstadt Madurais. Da der Verkehr so stark ist, kann der Fahrer nicht von der rechten Seite der Fahrbahn auf die ihm zugewiesene linke wechseln – in Indien herrscht Linksverkehr, ein Erbe der englischen Kolonialisten. Mit atemberaubendem Tempo brettern wir also durch den Gegenverkehr, doch den Fahrer scheint diese Tatsache kalt zu lassen, denn ab und zu dreht er sich auch einmal um, um uns etwas zu fragen. Auf den Straßen ist jede Fortbewegungsart und jedes Verkehrsmittel zu sehen, das wir uns vorstellen oder auch nicht vorstellen können. Wir überholen Fußgänger, klapprige Fahrräder und Fahrradrikschas; Motorroller mit indischen Ehepaaren, der Mann sitzt vorne und die Frau in buntem Sari hinten quer zur Fahrbahn, so wie früher Frauen bei uns auf Damensatteln. Ein bunt bemalter Linienbus fährt vorbei, ein Mann fährt mit einem Bein auf dem Trittbrett mit. Plötzlich steht eine Frau vor uns auf der Fahrbahn, unser Rikschafahrer kann das Steuer gerade noch so herumreißen.
Die Anzahl an Menschen nimmt zu und bald schon tauchen die Türme des Minakshi-Tempels auf. Leider sind sie eingerüstet und durch Palmenblattgeflecht verdeckt, denn der Tempel wird wie alle 12 Jahre neu gestrichen. Diese Prozedur dauert mehrere Monate – kein Wunder bei der Fülle und Farbenpracht der Figuren und Ornamente die diesen Tempel zieren. Etwa 33.000 bunte Götterstatuen befinden sich in dem Komplex, der zu den größten Hindutempeln in ganz Indien zählt und zu dem 12 Türme, die vier höchsten davon 46 Meter hoch, gehören. Der Tempel wurde hauptsächlich zwischen dem 16. Und 18. Jahrhundert erbaut, wobei einige Teile schon fast 3000 Jahre alt sind.
Schließlich halten wir und zahlen 60 Rupien, umgerechnet 1€, für die Fahrt, was noch vergleichsweise teuer ist – Touristenpreise eben. Kaum sind wir ein paar Schritte gegangen, da kommt schon ein Mann mit orangenem Hemd auf uns zu. „Hello, where are you from?“ Als einzige Weiße weit und breit, fallen Simon und ich sofort jedem auf, so auch Menschen, die nicht ganz uneigennützig denken, wie sich bald herausstellen wird. Als wir sagen, dass wir aus Deutschland seien, versichert uns unser „Begleiter“, dass er ein großer Fan von Bayern München sei. Er ist nicht der einzige, der mich mit seinem Wissen über europäische Fußballligen und speziell über die Deutschlands überrascht. Schon im Flugzeug habe ich im Sportteil der indienweit verbreiteten Tageszeitung „The Hindu“ einen Artikel über eine Championsleaguebegegnung entdeckt. Inzwischen sind wir an einem Kaufhaus angekommen von dessen Dach man angeblich einen tollen Blick in das Innere des Tempels haben soll, das wir wegen des Ganesha Festes nicht betreten können. „No money, no money! I just show you!“, hatte der nette Inder ständig wiederholt. Der Blick ist nicht schlecht, aber in das Innere können wir nicht wirklich sehen und beim Abstieg merken wir, dass der eigentliche Zweck dieses Angebots war, uns in dieses Geschäft zu locken. Denn die Verkäufer beginnen ihre Waren – Götterfiguren, Schmuck, Teppiche, handgefertigte Schachspiele usw. – anzupreisen und wollen uns davon überzeugen etwas zu kaufen. Wir verlassen den Laden und kurz darauf ist schon wieder unser „Begleiter“ bei uns und will uns noch ein Geschäft zeigen, denn er bekommt eine Provision für jeden Kunden, den er in ein Geschäft lockt. Er ist wirklich nett, sodass es uns schwerfällt ihn einfach zu ignorieren und abzuschütteln, doch bald lässt er von uns ab.
Der Platz rund um den Tempel ist voller kleiner Läden. Wir gehen an einer Menschentraube vor dem Eingang des Tempels vorbei – Frauen in edlen Saris und Männer in feiner Kleidung. Generell sind die Kleidung sowie das Straßenbild hier viel farbenfroher als bei uns. Gegenüber vom Tempeleingang ist ein Stand mit „Opferkörben“ in denen Jasmin und Kokosnüsse liegen. Am Rande des Platzes sitzen mehrere Frauen und fädeln Blumen auf Schnüren auf, sodass die für den Hinduismus bekannten Blumenketten entstehen. Heute ist das „Ganesha-Festival“ einer der wichtigsten Hindu-Feiertage. Es wird dem Elefantengott „Ganesha“ gehuldigt, der Glück bringt und störende Hindernisse beseitigt. Dieser Gott zählt zu den beliebtesten unter den Indern und so ist es nicht verwunderlich, dass die ganze Stadt auf den Beinen zu sein scheint.
Wir biegen in eine Seitenstraße und gehen an einem Laden mit Götterbildern vorbei, die mit grell leuchtenden und blinkenden Dioden bestückt sind – in Indien haben die Menschen teilweise einen für uns recht eigenartigen Geschmack. Generell stürmen seitdem wir in der Stadt sind Unmengen von Licht-, Ton- und Geruchreizen auf mich ein. Überall sind Menschen und wir beiden „Außerirdischen“ werden auch öfters mal angesprochen, da man uns wieder unschlagbare Angebote machen will oder einfach neugierig ist. Kinder laufen hinter uns her lachen und rufen laut „Hi!“ oder „Hello!“.
Ein Laden schließt sich an den nächsten an, die meisten von ihnen bis unter die Decke und bis in den letzten Winkel mit Waren vollgestopft. Die indischen Geschäfte sind anders als bei uns in Deutschland, denn hier gibt es meist nur einen Tresen zur Straße hin, hinter dem die Verkäufer stehen. Will man also etwas verkaufen, so muss man schon genau wissen was man möchte, sich in Geschäften umsehen um zu schauen was angeboten wird, das ist hier eher die Ausnahme. Plötzlich taucht zwischen all den kleinen vollgestopften Läden ein Sportschuhgeschäft auf – hochglanzpolierter Steinboden, einige wenige Schuhe an den Wänden und ein hell erleuchteter Raum, den man durch eine glänzende Schiebetür betreten kann - ein krasser Kontrast zum sonst üblichen Straßenbild.
Ein paar Meter weiter dröhnt mit ohrenbetäubender Lautstärke indische Musik aus einem Lautsprecher – sie ist unbeschreiblich und in keiner Weise mit westlicher oder südamerikanischer Musik zu vergleichen. Es hört sich sehr monoton an und der Klang der Instrumente ist sehr ungewohnt und für unsere deutschen Ohren nicht einzuordnen. Mal sehen ob ich mich daran gewöhnen kann, denn noch fällt es mir schwer manche Musik zu „ertragen“.
An einem Laden mit Obst in der Auslage wollen wir etwas kaufen, doch plötzlich beginnt der Besitzer mit einem unglaublich verdreckten Mixer zu hantieren. Dieser Laden ist ein „Saftladen“ und wir fragen, ob wir denn nicht auch die Früchte so kaufen können, doch mit 40 Rupien für einen Granatapfel ist der Preis viel zu hoch. An einem richtigen Obststand bekommen wir für 30 Rupien 4 Stücke Obst.
Als wir versuchen zu Fuß zurück zu unserer vorübergehenden Herberge im TTS (Tamil Theological Seminary) kommen laufen wir in eine Sackgasse und finden uns unter einer Straßenbrücke wieder. Auch wenn wir bereits in der Stadt Elend gesehen haben – ausgemergelte Fahrradrikschafahrer, Bettler, Menschen mit Hautkrankheiten – die Szenen unter der Brücke übertreffen alles. Männer urinieren an Brückenpfeiler, Feuer brennen, Menschen liegen auf dem Boden im Dreck, es reicht nach Fäkalien. Eine alte Frau schleudert uns aggressive Tamilfetzen entgegen. Schnell verlassen wir den Ort und nehmen eine Autorikscha zurück zum TTS. Wo wir auch nach einer halsbrecherischen Fahrt ankommen.
Nun waren wir also das erste Mal in der Innenstadt und haben etwa anderthalb Stunden totale Reizüberflutung hinter uns. Soviel Neues und Fremdes ist auf uns eingestürzt, dass wir gar nicht wussten wohin wir schauen sollten und aus dem Staunen gar nicht mehr herauskamen. Man sagt in Städten pulsiert das Leben, im Zentrum Madurais konnte man dieses Pulsieren mit allen Sinnen wahrnehmen. So habe ich das noch nie erlebt. Ein indisches Stadtzentrum – laut, bunt, schön, hässlich, arm, reich, hektisch und ruhig zugleich.

Mittwoch, 27. August 2008

Ein Jahr Indien! - Noch 5 Tage / 120 Stunden / 7200 Minuten

Am Morgen des 1. Septembers 2008 geht es nun endlich los. Ich werde Hessen, Deutschland, ja, Europa verlassen und ein Jahr nicht wiedersehen. Wenn der Flieger abhebt starte ich nicht einfach nur nach Indien, sondern gleichzeitig in das wohl größte und spannendste Reiseabenteuer, das ich bisher überhaupt erlebt habe. Außerdem lasse ich mit dem Aufbruch in den südostasiatischen Subkontinent auch einen alten Lebensabschnitt, den des Schülers und Abiturienten hinter mir. Mit dem Abheben des Fliegers wird aus dem 2008er-Abiturienten ein Freiwilliger.
Ein Jahr Indien - Das heißt zum einen, ein Jahr voller spannender Erfahrungen und neuer, bereichernder Eindrücke; das heißt ein Jahr die Möglichkeit haben, eine völlig andere Kultur kennenzulernen und von dieser zu lernen, ein Jahr in einer Menschenrechtsorganisation arbeiten zu können; ein Jahr Zeit zu haben um einen anderen Blick auf mich, meine Zukunftspläne und auf den Westen insgesamt zu bekommen.
Ein Jahr Indien - Das heißt aber auch, ein Abschied für lange Zeit, von Familie und Freunden, die mir ans Herz gewachsen sind, mit denen ich mich verbunden fühle und mit denen ich in guten Tagen viel Spaß und schöne Momente verbracht habe, aber die mich auch an dunklen Tagen unterstütz haben.
Vorfreude und Abschiedsschmerz liegen in diesen Tagen also eng beieinander. Doch die Neugier und Freude überwiegen und so sehe ich vor allem die postiven Seiten dieser einmaligen Chance, die sich mir durch die Teilnahme am Programm Weltwärts, das erst 2007 vom Bundesministerium für Entwicklung und wirtl. Zusammenarbeit (BMZ) ins Leben gerufen wurde, bieten. Brot für die Welt und die Ev. Freiwilligendienste für junge Menschen FSJ und DJiA gGmbH machen es mir und 14 anderen jungen Erwachsenen möglich für ein Jahr entwicklungspolitische Arbeit zu leisten. Mit zwei weiteren Freiwilligen werde ich in Madurai, einer Großstadt im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu, bei der Menschenrechtsorganisation Peoples Watch arbeiten und mich dort u. a. mit der Problematik der Dalits sowie Folter durch indische Sicherheitskräfte gegenüber Zivilisten befassen.

In diesem Blog möchte ich allen interessierten Daheimgebliebenen die Möglichkeit bieten, an meinen Erfahrungen und Eindrücken teilhaben zu können.

Mehr Informationen zu Weltwärts und Peoples Watch sowie meine ersten Impressionen aus Indien folgen in Kürze!

Bis bald!