Ein Blog von Felix Nickel


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Dienstag, 9. September 2008

Felix in Indien – Wie?

Einige fragen sich bestimmt, wie ich überhaupt nach Indien gekommen bin. Hier ein Überblick über das „Organisatorische“. Vielleicht plant ja im Moment auch jemand ein Auslandsjahr oder kennt jemanden, der dies tut, dann sind ein paar Infos vielleicht willkommen.

Mein Aufenthalt hier in Indien wurde von Brot für die Welt und den Evangelischen Freiwilligendiensten für junge Menschen (Ev. FWD) organisiert und findet im Rahmen des Neuen Entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „weltwärts“ des BMZ statt. Beide Organisationen sowie „weltwärts“ möchte ich nun vorstellen.


Brot für die Welt (BfdW) – „Den Armen Gerechtigkeit“

BfdW kennt wohl jeder. Es handelt sich hierbei um ein Hilfsprogramm des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW der EKD), wobei der Titel „Programm“ wichtig ist, denn eine eigenständige Hilfsorganisation ist BfdW nicht. Im Gegensatz zu anderen Hilfsorganisationen, die teilweise Fördermittel aus staatlicher Hand, wie etwa vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), bekommen, finanziert sich des Programm BfdW rein über Spenden. Der Spendenumfang für das Programm lag im Jahr 2007 bei 52,8 Millionen Euro, wobei etwa die Hälfte aller Spenden während der Adventszeit gesammelt werden.

BfdW wurde 1959 in Berlin ins Leben gerufen und hat heute seinen Sitz in Stuttgart im Hause des Diakonischen Werkes der EKD. Von dort aus werden heute über 1000 Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropas unterstützt, hierbei wird nicht auf die Entsendung eigener Entwicklungshelfer gesetzt, sondern auf Hilfe zur Selbsthilfe. Brot für die Welt arbeitet stets mit Partnern aus dem jeweiligen Entwicklungs-/Schwellenland zusammen und unterstützt deren Projekte finanziell, vorausgesetzt der die Fördermittel wurden nach mehrmaliger sorgfältiger Prüfung bewilligt. Die Partner von BfdW sind protestantische kirchliche Organisationen, da es sich bei dem Hilfsprogramm ja auch um ein kirchliches Programm handelt, aber auch andere säkulare Organisationen, Selbst-Initiativen, Menschenrechtsgruppen und andere nichtstaatliche Organisationen. Der Grund für die Arbeit mit Partnern liegt darin, dass man annimmt, dass diese das Land mit dessen Kultur und sozialen Nöten sowie mögliche erfolgreiche Ansatzpunkte für Entwicklungshilfe besser kennen als Entwicklungshelfer aus dem Ausland. Grundlegende Leitlinie für die Arbeit von BfdW ist der Solgan „Den Armen Gerechtigkeit“. Im kommenden Jahr feiert das Hilfsprogramm sein 50-jähriges Bestehen.


weitere Infos über Brot für die Welt und Möglichkeiten zur Unterstützung unter:

www.brot-fuer-die-welt.de



Evangelische Freiwilligendienste für junge Menschen FSJ und DJiA gGmbH (Ev. FWD)

Der Name der Organisation mit Sitz in Hannover schreckt auf den ersten Blick ab, ermöglicht es aber entscheidende Elemente dieser Entsendeorganisation für Freiwillige bereits aus deren Titel abzulesen. Es handelt sich um eine evangelische Organisation, die das Ergebnis einer Kooperation zwischen dem Diakonischen Werk der EKD und der Arbeitsgemeinschaft der Ev. Jugend in Deutschland (aej) im Bezug auf zwei Arten von Freiwilligendiensten ist – dem weitläufig bekannten Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Diakonischem Jahr im Ausland (DJiA).

Die Idee eines Diakonischen Jahres wurde schon 1954 geboren. Die Ev. FWD haben die Organisation des DJiA und FSJ im Ausland 2002 vom Diakonischen Werk der Pfalz übernommen. Zum DJiA heißt es auf der Website der Ev. Freiwilligendienste:

„Das Diakonische Jahr ist insofern nicht nur ein soziales Orientierungsjahr für Jugendliche. Es bietet auch die Möglichkeit, die sozialen Einrichtungen, die verschiedenen christlichen Traditionen, die unterschiedlichen sozialpolitischen Situationen und Organisation des sozialen Engagements in den Kirchen Europas kennen- und verstehen zu lernen. Das DJiA versteht sich als ökumenisches Programm und ist offen für die verschiedenen christlichen Konfessionen und schließt nichtkonfessionelle Bewerberinnen und Bewerber nicht aus, sofern sie Glaubensfragen und Kirche gegenüber aufgeschlossen sind.“

Die Anzahl der Teilnehmenden am DJiA, das sich an Menschen zwischen 18 und 30 wendet, ist stetig gestiegen. Machten 1989 nur 22 Freiwillige in Belgien und Frankreich, so sind es dieses Jahr über 140 Freiwillige in 19 Ländern. Unter diesen Freiwilligen sind auch wir, die ersten 15 Weltwärts-Freiwilligen von Brot für die Welt und den Ev. Freiwilligendiensten, mit 4 Zielen – Argentinien, Costa Rica, Indien und Kamerun.


weitere Infos zu den Ev. FWD und zu deren Angeboten gibt es unter:
www.djia.de



weltwärts – Der Neue Entwicklungspolitische Freiwilligendienst des BMZ

Ins Leben gerufen wurde weltwärts im Jahr 2007 durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und hat es sich zum Ziel gemacht junge Menschen ehrenamtliche Arbeit in Entwicklungsländern zu ermöglichen.

Mit dem Leitbild „Lernen durch tatkräftiges Handeln“ will dieser Freiwilligendienst junge Menschen für entwicklungspolitische Themen und Zusammenhänge sensibilisieren, sowie das Engagement für die Eine-Welt-Idee stärken. Der Aufenthalt in einem Entwicklungsland soll weiterhin dazu beitragen interkulturelle Verständigung und Toleranz zu fördern und die Freiwilligen zu Multiplikatoren für entwicklungspolitische Themen zu machen, um auch „Daheimgebliebene“ für Entwicklungspolitik und -problematiken zu sensibilisieren. Im Vordergrund des Dienstes steht also das Lernen durch freiwillige Arbeit. Weiterhin soll mit weltwärts der Nachwuchs im entwicklungspolitischen Berufsfeld gefördert werden.

Das Programm richtet sich an junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren und ermöglicht es ihnen für einen Zeitraum von 6 bis 24 Monaten in einem Entwicklungs- bzw. Schwellenland zu leben und zu arbeiten. Der Einsatz wird vom BMZ und der Partnerorganisation mit einem Stipendium finanziert, wobei dem Freiwilligen Taschengeld, sowie kostenlose Reise, Unterkunft und Verpflegung zustehen. Trotzdem fallen natürlich Kosten an, wie etwa für Impfungen, Reisedokumente etc.

Das BMZ entsendet jedoch nicht direkt Freiwillige sondern zertifiziert Entsendeorganisationen, die dann ihrerseits den Einsatz von Freiwilligen mit ihren Partnern im Ausland organisieren.

Da Brot für die Welt ein Entwicklungsprogramm ist, bestand von dieser Seite ein Interesse daran Freiwillige zu entsenden, da man ja über die nötige Erfahrung und Ressourcen in der Entwicklungszusammenarbeit verfügt und langjährige Kontakte zu Partnerorganisationen in Entwicklungsländern hat. BfdW hat jedoch keine Erfahrung mit der Entsendung von Freiwilligen. Dies ist der Grund warum BfdW und die Ev. FWD kooperieren und ich quasi Freiwilliger beider Organisationen bin.


weitere Infos zum weltwärts-Programm und den teilnehmenden Entsendeorganisationen unter:
www.weltwärts.de



Nun aber genug mit all den Programmen und Organisationen. Der nächste Bericht wird wieder „indischer“, sprich bunter und spannender ;-)

Vielen Dank fürs Lesen!

Euer/Ihr Felix

Freitag, 5. September 2008

மதுரை(Madurai) - Erste Eindrücke

Mit einem lauten Knattern setzt sich unsere gelbe kleine Rikscha in Bewegung. Simon und ich sind auf dem Weg in die Innenstadt Madurais. Da der Verkehr so stark ist, kann der Fahrer nicht von der rechten Seite der Fahrbahn auf die ihm zugewiesene linke wechseln – in Indien herrscht Linksverkehr, ein Erbe der englischen Kolonialisten. Mit atemberaubendem Tempo brettern wir also durch den Gegenverkehr, doch den Fahrer scheint diese Tatsache kalt zu lassen, denn ab und zu dreht er sich auch einmal um, um uns etwas zu fragen. Auf den Straßen ist jede Fortbewegungsart und jedes Verkehrsmittel zu sehen, das wir uns vorstellen oder auch nicht vorstellen können. Wir überholen Fußgänger, klapprige Fahrräder und Fahrradrikschas; Motorroller mit indischen Ehepaaren, der Mann sitzt vorne und die Frau in buntem Sari hinten quer zur Fahrbahn, so wie früher Frauen bei uns auf Damensatteln. Ein bunt bemalter Linienbus fährt vorbei, ein Mann fährt mit einem Bein auf dem Trittbrett mit. Plötzlich steht eine Frau vor uns auf der Fahrbahn, unser Rikschafahrer kann das Steuer gerade noch so herumreißen.
Die Anzahl an Menschen nimmt zu und bald schon tauchen die Türme des Minakshi-Tempels auf. Leider sind sie eingerüstet und durch Palmenblattgeflecht verdeckt, denn der Tempel wird wie alle 12 Jahre neu gestrichen. Diese Prozedur dauert mehrere Monate – kein Wunder bei der Fülle und Farbenpracht der Figuren und Ornamente die diesen Tempel zieren. Etwa 33.000 bunte Götterstatuen befinden sich in dem Komplex, der zu den größten Hindutempeln in ganz Indien zählt und zu dem 12 Türme, die vier höchsten davon 46 Meter hoch, gehören. Der Tempel wurde hauptsächlich zwischen dem 16. Und 18. Jahrhundert erbaut, wobei einige Teile schon fast 3000 Jahre alt sind.
Schließlich halten wir und zahlen 60 Rupien, umgerechnet 1€, für die Fahrt, was noch vergleichsweise teuer ist – Touristenpreise eben. Kaum sind wir ein paar Schritte gegangen, da kommt schon ein Mann mit orangenem Hemd auf uns zu. „Hello, where are you from?“ Als einzige Weiße weit und breit, fallen Simon und ich sofort jedem auf, so auch Menschen, die nicht ganz uneigennützig denken, wie sich bald herausstellen wird. Als wir sagen, dass wir aus Deutschland seien, versichert uns unser „Begleiter“, dass er ein großer Fan von Bayern München sei. Er ist nicht der einzige, der mich mit seinem Wissen über europäische Fußballligen und speziell über die Deutschlands überrascht. Schon im Flugzeug habe ich im Sportteil der indienweit verbreiteten Tageszeitung „The Hindu“ einen Artikel über eine Championsleaguebegegnung entdeckt. Inzwischen sind wir an einem Kaufhaus angekommen von dessen Dach man angeblich einen tollen Blick in das Innere des Tempels haben soll, das wir wegen des Ganesha Festes nicht betreten können. „No money, no money! I just show you!“, hatte der nette Inder ständig wiederholt. Der Blick ist nicht schlecht, aber in das Innere können wir nicht wirklich sehen und beim Abstieg merken wir, dass der eigentliche Zweck dieses Angebots war, uns in dieses Geschäft zu locken. Denn die Verkäufer beginnen ihre Waren – Götterfiguren, Schmuck, Teppiche, handgefertigte Schachspiele usw. – anzupreisen und wollen uns davon überzeugen etwas zu kaufen. Wir verlassen den Laden und kurz darauf ist schon wieder unser „Begleiter“ bei uns und will uns noch ein Geschäft zeigen, denn er bekommt eine Provision für jeden Kunden, den er in ein Geschäft lockt. Er ist wirklich nett, sodass es uns schwerfällt ihn einfach zu ignorieren und abzuschütteln, doch bald lässt er von uns ab.
Der Platz rund um den Tempel ist voller kleiner Läden. Wir gehen an einer Menschentraube vor dem Eingang des Tempels vorbei – Frauen in edlen Saris und Männer in feiner Kleidung. Generell sind die Kleidung sowie das Straßenbild hier viel farbenfroher als bei uns. Gegenüber vom Tempeleingang ist ein Stand mit „Opferkörben“ in denen Jasmin und Kokosnüsse liegen. Am Rande des Platzes sitzen mehrere Frauen und fädeln Blumen auf Schnüren auf, sodass die für den Hinduismus bekannten Blumenketten entstehen. Heute ist das „Ganesha-Festival“ einer der wichtigsten Hindu-Feiertage. Es wird dem Elefantengott „Ganesha“ gehuldigt, der Glück bringt und störende Hindernisse beseitigt. Dieser Gott zählt zu den beliebtesten unter den Indern und so ist es nicht verwunderlich, dass die ganze Stadt auf den Beinen zu sein scheint.
Wir biegen in eine Seitenstraße und gehen an einem Laden mit Götterbildern vorbei, die mit grell leuchtenden und blinkenden Dioden bestückt sind – in Indien haben die Menschen teilweise einen für uns recht eigenartigen Geschmack. Generell stürmen seitdem wir in der Stadt sind Unmengen von Licht-, Ton- und Geruchreizen auf mich ein. Überall sind Menschen und wir beiden „Außerirdischen“ werden auch öfters mal angesprochen, da man uns wieder unschlagbare Angebote machen will oder einfach neugierig ist. Kinder laufen hinter uns her lachen und rufen laut „Hi!“ oder „Hello!“.
Ein Laden schließt sich an den nächsten an, die meisten von ihnen bis unter die Decke und bis in den letzten Winkel mit Waren vollgestopft. Die indischen Geschäfte sind anders als bei uns in Deutschland, denn hier gibt es meist nur einen Tresen zur Straße hin, hinter dem die Verkäufer stehen. Will man also etwas verkaufen, so muss man schon genau wissen was man möchte, sich in Geschäften umsehen um zu schauen was angeboten wird, das ist hier eher die Ausnahme. Plötzlich taucht zwischen all den kleinen vollgestopften Läden ein Sportschuhgeschäft auf – hochglanzpolierter Steinboden, einige wenige Schuhe an den Wänden und ein hell erleuchteter Raum, den man durch eine glänzende Schiebetür betreten kann - ein krasser Kontrast zum sonst üblichen Straßenbild.
Ein paar Meter weiter dröhnt mit ohrenbetäubender Lautstärke indische Musik aus einem Lautsprecher – sie ist unbeschreiblich und in keiner Weise mit westlicher oder südamerikanischer Musik zu vergleichen. Es hört sich sehr monoton an und der Klang der Instrumente ist sehr ungewohnt und für unsere deutschen Ohren nicht einzuordnen. Mal sehen ob ich mich daran gewöhnen kann, denn noch fällt es mir schwer manche Musik zu „ertragen“.
An einem Laden mit Obst in der Auslage wollen wir etwas kaufen, doch plötzlich beginnt der Besitzer mit einem unglaublich verdreckten Mixer zu hantieren. Dieser Laden ist ein „Saftladen“ und wir fragen, ob wir denn nicht auch die Früchte so kaufen können, doch mit 40 Rupien für einen Granatapfel ist der Preis viel zu hoch. An einem richtigen Obststand bekommen wir für 30 Rupien 4 Stücke Obst.
Als wir versuchen zu Fuß zurück zu unserer vorübergehenden Herberge im TTS (Tamil Theological Seminary) kommen laufen wir in eine Sackgasse und finden uns unter einer Straßenbrücke wieder. Auch wenn wir bereits in der Stadt Elend gesehen haben – ausgemergelte Fahrradrikschafahrer, Bettler, Menschen mit Hautkrankheiten – die Szenen unter der Brücke übertreffen alles. Männer urinieren an Brückenpfeiler, Feuer brennen, Menschen liegen auf dem Boden im Dreck, es reicht nach Fäkalien. Eine alte Frau schleudert uns aggressive Tamilfetzen entgegen. Schnell verlassen wir den Ort und nehmen eine Autorikscha zurück zum TTS. Wo wir auch nach einer halsbrecherischen Fahrt ankommen.
Nun waren wir also das erste Mal in der Innenstadt und haben etwa anderthalb Stunden totale Reizüberflutung hinter uns. Soviel Neues und Fremdes ist auf uns eingestürzt, dass wir gar nicht wussten wohin wir schauen sollten und aus dem Staunen gar nicht mehr herauskamen. Man sagt in Städten pulsiert das Leben, im Zentrum Madurais konnte man dieses Pulsieren mit allen Sinnen wahrnehmen. So habe ich das noch nie erlebt. Ein indisches Stadtzentrum – laut, bunt, schön, hässlich, arm, reich, hektisch und ruhig zugleich.